„Better Call Saul“: Perfektes Finale nach sechs Staffeln – Review (2024)

Justiz- und Gangster-Story kommt zu einem runden Ende

Rezension von Gian-Philip Andreas – 16.08.2022, 19:34Uhr

„Better Call Saul“: Perfektes Finale nach sechs Staffeln – Review (2)

Eine Ära geht zu Ende: Nach „Breaking Bad“ (2008–2013) hat nun auch das Spin-Off „Better Call Saul“ (seit 2015) den Schlussstrich gezogen. Für manche endet damit eines der letzten Kapitel des sogenannten „Peak TV“ mit seinen sorgfältig über mehrere Jahre hinweg entwickelten Qualitätsserien, für den produzierenden Pay-TV-Sender AMC (und bei uns für den Streamingdienst Netflix) endet vor allem ein Erfolgsfranchise. Wir blicken auf das souveräne Finale dieser Serie, die zugleich Prequel und Sequel war – und ziehen Bilanz. Aber Achtung: Spoiler Alert!

Die sechste Staffel von „Better Call Saul“ (BCS) begann im April mit einer fast tänzerisch choreografierten Szene, in der die Polizei das protzige Anwesen von Saul Goodman (Bob Odenkirk) ausräumt. Der windige Anwalt aus Albuquerque, New Mexico, war nach den Ereignissen in „Breaking Bad“ (BB) untergetaucht und lebt nun, wie BCS-Fans wissen, unter neuer Identität in Omaha, Nebraska, als Manager einer Zimtschneckenbäckerei. Nur flüchtige Blicke hatte die Serie dem Publikum bisher in dieses neue Leben gewährt, in Schwarzweiß, meist nur zu Beginn jeder Staffel: Gene Takavic, so der neue Name von Saul, lebt in ständiger Angst davor, doch noch enttarnt zu werden, von den Strafverfolgungsbehörden oder, noch schlimmer, von Drogengangstern, denen er als Anwalt des kriminellen Chemielehrers „Heisenberg“ in die Quere gekommen war. In der fünften Staffel hatte ihn dann ein Taxifahrer enttarnt. Nun aber begann die sechste Staffel erstmals nicht mit neuen Schwarzweiß-Enthüllungen aus Sauls Leben unter dem Namen Gene Takavic, sondern damit, wie die Überreste des Menschen „Saul Goodman“ in ein Lager abtransportiert wurden. Wie im Filmklassiker „Citizen Kane“ stehen seine materiellen Hinterlassenschaften dabei symbolisch für die abwesende Titelfigur.

Neben Viagra, Krawatten und einem bestimmten Flaschenstöpsel konnte, wer genau hinsah, auch eine Ausgabe von H. G. Wells Sci-Fi-Roman „Die Zeitmaschine“ bei dieser Räumaktion entdecken. Und genau diese Zeitmaschine dient jetzt als Leitmotiv der finalen BCS-Episode. In drei Gesprächen und drei Flashbacks zurück in unterschiedliche Zeiten des Franchise spricht Saul Goodman, ehemals Jimmy McGill, noch einmal mit drei wesentlichen Wegbegleitern: erst mit Mike Ehrmantraut (Jonathan Banks), dem stoischen Ausputzer des Gangsters Gus Fring, während ihrer gemeinsamen Flucht durch die Wüste (aus Staffel 5), dann mit Walter White (Bryan Cranston), dem legendären Protagonisten der Vorgängerserie, während ihres gemeinsamen Aufenthalts im Keller des „Staubsaugerverkäufers“ Ed am Ende Ende von BB, und schließlich, in einem kurz vor die Erzählzeit von BCS zurückführenden Flashback, mit seinem älteren Bruder Chuck (Michael McKean), aus dessen Schatten Jimmy sich so lange vergeblich zu befreien versuchte. Was sie denn tun würden, wenn sie eine Zeitmaschine hätten: Darum geht es in diesen Gesprächen. Mike sagt, er würde zurückreisen an den Tag, an dem er zum korrupten Polizisten wurde und sein Leben eine Wendung zum Bösen nahm. Naturwissenschaftler Walt lacht sarkastisch über die Unmöglichkeit von Zeitreisen. Und Chuck ist überhaupt erst derjenige, der Jimmy mit Wells’ „Zeitmaschine“ in Berührung bringt – ein Buch, das Jimmy immer begleiten wird.

Was Jimmy/​Saul denn geändert hätte mit einer Zeitmaschine? Er sagt, er hätte am ersten Tag in Warren Buffetts Unternehmen investiert, um heute ein Milliardär zu sein. Slippin’ Jimmy forever also? Das scheint die Erkenntnis zu sein, die diese drei Gespenster aus Jimmys Vergangenheit, die auch an die drei Geister aus Charles Dickens’ „Weihnachtsgeschichte“ erinnern (die finalen Folgen spielen tatsächlich im Winter), zu Tage fördern. Auch die Episoden 10 bis 12 schienen dieses Fazit zu ziehen: Mit Episode 9 war die eigentliche Prequel-Timeline der Serie, die deren weit überwiegenden Anteil ausmachte, an ihr Ende gelangt, um einer Art vierteiligem Epilog in der erzählerischen Gegenwart (also nach BB) Platz zu machen. Dieser Epilog, wiederum in konsequentem Schwarzweiß gehalten und fast eine eigene Miniserie, zeigte, wie Jimmy/​Saul/​Gene den Taxifahrer, der ihn enttarnte, in neue Trickbetrügereien einspannt, Raubzüge im Kaufhaus etwa und bei alleinstehenden reichen Männern. Am Ende wäre Saul sogar dazu bereit gewesen, einen Krebskranken zu erschlagen, wenn das Schicksal nicht dazwischengefunkt hätte: Jimmy McGill, das legten diese Episoden nahe, hatte den Abstieg vom tricksenden Winkeladvokaten, den uns die Serie so lange zeigte, in die Unmoral nun endgültig absolviert.

Doch in der letzten Folge kommt es noch einmal zur Wende: Nachdem der endgültig von der Polizei geschnappte Jimmy ein letztes Mal den cleveren Trickster spielt, um die Länge seiner zu erwartenden Haftstrafe signifikant zu drücken (indem er sich als Opfer Walter Whites zeichnet), vollzieht er, live vor Gericht, eine allerletzte Kehrtwende. Um Kim Wexler (Rhea Seehorn), seiner inzwischen von ihm geschiedenen und in Florida ein neues Leben lebenden Ex-Partnerin, aus der Klemme zu helfen, bekennt er sich schließlich dazu, die Verbrechen im Umfeld Heisenbergs aus eigenem Willen und in vollem Bewusstsein verübt zu haben.

Sein letzter Slippin’-Jimmy-Trick ist also ein endgültiger Akt der Anerkennung seiner eigenen Missetaten, nicht nur gegenüber den Opfern von Walter White, wie etwa Hank Schrader und Steve Gomez (BB-Castmitglied Betsy Brandt hat als Hanks Witwe Marie einen ebenso überraschenden wie tollen Gastauftritt), auch gegenüber Howard Hamlin und Chuck. Dieser Akt des Eingestehens trägt sich stilecht vor Gericht zu. Nur dass Saul diesmal niemanden vor einer Strafe rettet, sondern selbst hinter Gittern landet – für schlappe 86 Jahre. Case closed: Dieser Schluss, auf den die Autoren nach eigener Aussage schon länger hinarbeiteten, bindet sowohl die Justiz-Dramedy, die BCS ja lange war, als auch die Gangsterstory à la BB, die sich erst im Laufe der letzten Staffeln in die Hauptgeschichte eingeschlichen hatte, auf souveräne und passende Weise ab. Vom lautstarken BB-Exit ist dieses Finale natürlich denkbar weit entfernt – und doch passt es bestens zu dieser Serie, in der es nun mal überwiegend um clevere Worte und überraschende Tricks ging und nicht um explosives Geballer.

Mit Jimmys finalem Coup endet also – ebenso ironisch wie konsequent – eine Serie, die bis in die letzte Staffel hinein im Unklaren ließ, was wohl mit jenen Hauptfiguren geschehen würde, die nicht in BB vorkommen. Die Autoren um Showrunner Peter Gould, dem (nach zwei Staffeln Pause) auch BB-Erfinder Vince Gilligan wieder zur Seite stand, gingen damit am Ende bewundernswert kaltschnäuzig um: Michael Mando als Nacho, Patrick Fabian als Howard Hamlin und Tony Dalton als Lalo Salamanca wurden nacheinander (in spektakulären Szenen) aus der Serie herausgeschrieben. Einzig um Kim durfte man noch bangen; sie schmiss in Folge 9 ihren Anwaltsberuf hin und trennte sich von Jimmy. Würde sie in der Jetzt-Timeline noch einmal auftauchen?

Das Finale gönnt den beiden nun einen letzten gemeinsamen und sehr bewegenden Moment – rauchend in einer Gefängniszelle, in die das Licht schräg hineinfällt, ganz so wie in ihrer ersten gemeinsamen Szene, damals, 2015.

Spätestens seit der vierten Staffel haben sich die Stimmen gemehrt, die auszusprechen wagten, was BB-Fetischisten niemals zugestehen werden: dass BCS als Spin-Off inzwischen besser ist als die eigentliche Mutterserie. Wenn dies zutrifft, dann liegt es hauptsächlich daran, dass BCS über eine deutlich besser geschriebene weibliche Hauptfigur verfügt. Die Dynamik zwischen Kim und Jimmy war stets das Herzstück der Serie, ihr gemeinsames, wenn auch zeitversetztes breaking bad war das, was die Erzählung antrieb. Und was Bob Odenkirk und Rhea Seehorn in dieser Hinsicht darstellerisch leisteten, war und ist weiterhin jeden Emmy wert – bis in die letzten Folgen hinein.

Als BCS damals angekündigt wurde, erwartete man, mit noch etwas gemischten Gefühlen, eine Serie, die mehr vom dubiosen Anwaltsalltag der Figur aus BB auftischen würde. Stattdessen gab es fünfeinhalb Staffeln lang dessen langsame Genese zu sehen, erst in einer Art schrulligem Justiz- und Familiendrama, dann mit immer größerer Crime-Beigabe und mit so vielen Aufs und Abs für das zentrale Figurenduo, dass die bekannte Saul-Goodman-Persona fast wie ein Störfaktor wirkte, als sie dann kurz vor Schluss, nach einem harten Zeitsprung, plötzlich wieder auftauchte. So sehr waren Jimmy McGill und Kim Wexler zu Serienfiguren von ganz eigenem Recht aus ihrer ganz eigenen Welt herangereift. Die vielfach herbeigesehnten Gastauftritte von Aaron Paul und Bryan Cranston als Jesse und Walt hätte es aus demselben Grund eigentlich gar nicht gebraucht – sie waren reiner Fanservice in einer Erzählwelt, die ohne sie sogar noch mehr an Kontur und Charaktertiefe gewonnen hatte. „Better Call Saul“ endet als Glücksfall und (im Zeitalter der ständigen Weiterverwurstung von allem, was irgendwann mal erfolgreich war) als Beleg dafür, wie Spin-Offs ein faszinierendes Eigenleben gewinnen können, wenn sie das Material, von dem sie abstammen, nicht nur schnöde kopieren.

Das Serienfinale von „Better Call Saul“ liegt in Deutschland ab dem 16. August bei Netflix zum Streamen bereit – wie auch die komplette Serie.

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