Costa-Gavras, Großmeister des engagierten Politthrillers, hat seinem ohnehin höchst beeindruckenden Œuvre mit „Adults in the Room“ ein kongeniales Kapitel hinzugefügt.
Um eine klare Haltung war Costa-Gavras nie verlegen. Was bereits in seinem familiären Hintergrund begründet liegen dürfte, verließ er doch – geboren 1933 unter dem Namen Konstantínos Gavrás – bereits in den fünfziger Jahren seine griechische Heimat. Weil sein Vater im kommunistischen Widerstand gegen die Nazis gekämpft hatte, war es für Costa-Gavras unmöglich, im Griechenland nach dem bis 1949 dauernden Bürgerkrieg einen Studienplatz zu bekommen. In Frankreich studierte er zunächst Literatur an der Sorbonne, ehe er seine filmische Ausbildung am renommierten Institut des hautes études cinématographiques absolvierte. Sein gelungenes Regiedebüt lieferte Costa-Gavras 1965 mit Compartiment tueurs, doch bereits in Un homme de trop (Ein Mann zuviel) wurde sein Sinn für engagiertes Kino deutlich. 1969 setzte Costa-Gavras mit Z einen Film in Szene, der mittlerweile zum Klassiker des Politthrillers avanciert ist. Obwohl in einem fiktionalen Staat angesiedelt, macht Costa-Gavras’ Inszenierung deutlich, dass die Geschichte um die Ermordung eines oppositionellen Politikers – angelehnt an die Ereignisse um den Tod von Grigoris Lambrakis im Mai 1963 – den Weg Griechenlands in die Militärdiktatur, der sich endgültig mit dem Putsch der Obristen 1967 vollzog, widerspiegelt. Z ist das Musterbeispiel für jenes Kino, das mittels populärer Genres politische sowie soziale Themen aufgriff und dabei dezidiert Position bezog. In L’Aveu (Das Geständnis, 1970) formulierte Costa-Gavras eindringlich seine Kritik am Totalitarismus stalinistischer Prägung. État de siège (Der unsichtbare Aufstand, 1972) deckt wiederum die Unterstützung autoritärer Regimes in Lateinamerika durch die Vereinigten Staaten auf, macht aber auch anhand der Entführung eines CIA-Agenten – basierend auf realen Geschehnissen – durch eine örtliche Untergrundbewegung das moralische Dilemma deutlich, wie weit jeder auch noch so berechtigte bewaffnete Kampf gehen darf.
Seinen politischen und humanistischen Prinzipien blieb Costa-Gavras auch weiterhin treu, wobei er sich nicht scheute, höchst brisante Stoffe aufzugreifen. Missing (1982) beleuchtet die unheilvolle Rolle der USA beim Umsturz in Chile durch die Militärs, der in der blutigen Diktatur Augusto Pinochets mündete. Betrayed (Verraten, 1988) zeigt die Innenansicht eines radikalen Suprematisten, der nach außen als biederer Amerikaner auftritt, Music Box thematisiert anhand einer Vater-Tochter-Beziehung (gespielt von Armin Mueller-Stahl und Jessica Lange) individuelle Schuld und Verantwortung eines Kriegsverbrechers der faschistischen ungarischen Pfeilkreuzler. Amen. (Der Stellvertreter, 2002) basiert auf Rolf Hochhuths kontrovers aufgenommenem Drama, das sich mit der Rolle des Vatikans gegenüber dem Holocaust höchst kritisch auseinandersetzt.
Mit seiner neuen Regiearbeit Adults in the Room greift Costa-Gavras präzise und hochspannend ein Thema auf, das immer noch höchst aktuell erscheint. Als 2015 die Staatsschuldenkrise Griechenlands auf einen Höhepunkt zusteuert, sieht sich Finanzminister Yanis Varoufakis (gespielt von dem in seiner griechischen Heimat populären Darsteller Christos Loulis) mit Forderungen von Seiten der Eurozone konfrontiert, die die ökonomische und soziale Lage Griechenlands drastisch verschlimmern würden. Seine Kompromissvorschläge werden jedoch von nahezu allen Entscheidungsträgern der Europäischen Union – der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble (Ulrich Tukur) erweist sich als besonders unnachgiebig – systematisch abgeblockt. Basierend auf einem von Varoufakis verfassten Buch über jene schicksalhaften Wochen konzentriert sich Costa-Gavras’ Inszenierung mit gewohnt analytischem Blick auf jene Verhandlungen in den Zimmern der Macht, die immer mehr zu Ritualen erstarren. Politische Entscheidungen auf höchster europäischer Ebene mutieren zu einer Farce, hinter der jedoch eine moderne griechische Tragödie sichtbar wird.
Costa-Gavras im Gespräch über seine Karriere, seinen neuen Film und die Zukunft Europas:
Vor unserem Gespräch haben Sie sich im Vorbeigehen kurz mit jemandem über „Z“ unterhalten. Wie erklären Sie sich, dass die Leute Sie auch nach über 50 Jahren noch auf diesen einen Film ansprechen?
Das ist die Geschichte des Kinos. Es ist erstaunlich, dass Kinofilme kommen und gehen. Die meisten Filme werden geboren, sie werden älter, und irgendwann verschwinden sie. Aber dann gibt es Filme, die bleiben, und man fragt sich warum. Man kann das nicht planen und auch nicht erklären, das ist unmöglich. Es ist einfach so. Und Z ist so ein Film. Das Erstaunliche ist, dass zunächst niemand daran glauben wollte. Keiner wollte das Projekt finanzieren. Alle haben sie daran gezweifelt, dass der Film ein Erfolg werden könnte. Aber es ist anders gekommen. Es ist ein Wunder. Anders kann man es nicht erklären.
Wenn Sie zurückblicken auf Ihre beeindruckende Karriere, gibt es da einen roten Faden, der Ihre Filme auf die eine oder andere Weise miteinander verbindet?
Nicht wirklich. Das einzige, was ich dazu vielleicht sagen kann, ist, dass ich stets mit offenen Augen durchs Leben gehe. Dass ich mich als Beobachter in der Welt bewege, die mich umgibt, um festzustellen, wie wir leben, was wir tun und warum wir es tun. Warum wir Kriege führen, zum Beispiel. Warum wir einander töten. Warum wir einander nicht akzeptieren und respektieren können. Jeder von uns möchte doch so akzeptiert werden, wie er ist. Nur unseren Mitmenschen gestehen wir dieses Recht nicht zu. Wir widersprechen uns in uns selbst. Aber warum? Wenn ich Filme mache, habe ich stets all diese Gedanken, all diese Fragen im Hinterkopf, damals wie heute.
Was hat Sie konkret daran gereizt, Yanis Varoufakis’ Buch über seine persönliche Auseinandersetzung mit Europas
Establishment zu verfilmen?
Das Buch ist die akkurateste Quelle, wenn es darum geht zu erklären, was damals in diesen sechs Monaten in Europa und Griechenland vor sich ging, wie Europa die Situation mit Griechenland zu lösen versuchte und warum. Sie taten es, um die Banken zu retten und ließen Griechenland mit einem ungeheuren Schuldenberg zurück. Dieser Schuldenberg ist heute noch um einiges größer als vor zehn Jahren. Mit anderen Worten: Die EU hat nichts bewirkt. Sie haben die Banken gerettet, aber das Land ruiniert. Über 500.000 Griechen haben seither ihre Heimat verlassen, weil sie dort nicht mehr leben können und wollen. Das ist ein Problem, nicht nur wirtschaftlich.
Yanis Varoufakis war in seiner Funktion als Finanzminister ein Außenseiter. Einer, der die Dinge anders anging, der seinen eigenen Kopf hatte. Darin scheinen Sie ihm nicht unähnlich zu sein. Empfinden Sie sich als Regisseur auch eher als Einzelgänger?
Ja, aber so muss es auch sein. Jeder von uns hat eigene Ideen, muss seine eigene Welt kreieren, ohne zu wiederholen oder zu kopieren, was es bereits gibt. Nur so können wir friedlich nebeneinander existieren, denke ich. Alles andere wäre ein Albtraum.
Wir war Ihre Beziehung zu Varoufakis?
Sehr gut. Unsere Beziehung war von Anfang an sehr klar. Ich sagte zu ihm: „Ihr Buch gefällt mir, geben sie mir die Rechte dazu. Ich möchte einen Film daraus machen, aber nur, wenn Sie sich nicht einmischen. Sie werden keinen Einfluss auf das Drehbuch haben und nichts daran ändern können, wenn der Film fertig ist. Absolut nichts.“ Er akzeptierte. Ich habe ihn dann doch ein paar Mal um Rat gefragt, wenn es um bestimmte technische oder ökonomische Probleme ging, die ich nicht auf Anhieb verstand – Wirtschaft ist ein unendliches Labyrinth. Aber was die Umsetzung anging, hatte ich komplett freie Hand. Und Yanis ist ein spezieller Typ. Ich mag ihn, weil er ein guter Autor ist und weiß, wovon er schreibt. Das ist heutzutage auch keine Selbstverständlichkeit.
Ihr Film trägt den Titel „Adults in the Room“. Haben Sie das Gefühl, der Politik fehlt es heute allgemein an genügend Erwachsenen im Raum, wenn es darum geht, wichtige internationale Entscheidungen zu treffen?
Eher das Gegenteil ist der Fall. Es gibt zu viele Erwachsene, zu viele Alte.
Und die haben keine Ahnung?
Nein. Aber um kurz auf den Titel zurückzukommen, der stammt von einem Zitat von der IWF-Chefin Christine Lagarde. Als sich die Gespräche um Griechenland zuspitzten, meinte sie bei einer Pressekonferenz, es könne erst weitergehen, „wenn Erwachsene an einem Tisch“ sitzen würden. Und sie war ja dabei, sie hat gesehen, was da passierte. Ich glaube, es war ein ehrliches Statement über das, was damals in den Gesprächen vor sich ging.
Sind Sie generell eher enttäuscht von der Politik?
Das sind wir alle immer, weil Politiker permanent Versprechen machen, die sie niemals einhalten können. Das ist ein grundsätzliches Problem. Aber merkwürdigerweise ist es auch wichtig, dass wir enttäuscht werden, weil wir nur so merken, dass etwas nicht stimmt. Denn wenn die Politiker immer ehrlich sagen würden, wie die Dinge liegen, würden wir ihnen nicht auf die Schliche kommen. Das heißt, es ist unsere Verantwortung, das zu erkennen. Meine Mutter hat mich immer davor gewarnt, mich politisch zu engagieren, weil das meinen Vater ins Gefängnis brachte. Aber man darf auch nicht einfach wegschauen. Man muss sich engagieren, so oder so.
Empfinden Sie eine gewisse Dringlichkeit, politische Filme zu drehen, heute vielleicht noch mehr als zu Beginn Ihrer Karriere?
Nicht unbedingt. Für mich ist Filmemachen eine Passion, ein Zusammentreffen von Leidenschaften. Und Filme behaupten eine Menge, vor allem politische Filme, wenn Sie so wollen. Ich habe mich in Adults in the Room mit Europa auseinandergesetzt, weil mich das Thema sehr interessiert, aber das war’s. Das bedeutet nicht, dass ich morgen den nächsten Film darüber anfange. Das könnte ich gar nicht. Allein deshalb schon nicht, weil Filme eine lange Zeit in Anspruch nehmen. Dieser hat vier, fünf Jahre beansprucht. Eigentlich sogar mehr, denn angefangen darüber nachzudenken, habe ich bereits vor mehr als acht Jahren. Es ist ein besonderes Projekt für mich gewesen.
Wie denken Sie über die Zukunft von Griechenland und Europa? Sind Sie hoffnungsvoll?
Europa ist eine absolut außergewöhnliche Idee. Die Vorstellung, zusammenzugehören, eine einheitliche Währung zu haben und offene Grenzen, war und ist noch immer erstaunlich. Heute sieht das alles ganz einfach aus, aber es ist eine einzigartige Leistung. Und was Griechenland angeht, hoffe ich, dass mit der neuen Präsidentin tatsächlich ein Wandel einsetzt. Die letzten 15 Jahre waren schlimm, und so geht es nicht weiter. Ich habe Katerina Sakellaropoulou reden gehört über Europa, was Europa sein sollte, kulturell, wirtschaftlich, gesellschaftlich, in Bildungsfragen und so weiter. Das hat mich sehr beeindruckt. Wir können nur hoffen, dass sich die Dinge mit ihr ändern, denn sie müssen sich ändern, sonst ist die Idee eines einheitlichen Europa dem Untergang geweiht.
Sie leben bereits seit 1955 in Paris. Haben Sie in all den Jahren jemals mit dem Gedanken gespielt, nach Griechenland zurückzukehren?
Nein. Ich bin damals für immer weggegangen. Ich bin aus Griechenland geflohen. Man geht nicht freiwillig in das Gefängnis zurück, aus dem man einmal ausgebrochen ist. Ich verbringe meinen Urlaub dort, ich besuche Freunde und Familie, aber mehr nicht. Ich will nicht mehr dort leben.
Dennoch scheint es, dass Sie eine starke Verantwortung dem Land gegenüber empfinden?
Es ist meine Heimat, das Land, in dem ich geboren wurde. Ich musste damals weggehen angesichts der Situation in Griechenland zu der Zeit. Aber wie gesagt, in den letzten Jahren haben mehr als eine halbe Million Griechen das Land verlassen, weil sie dort keine Zukunft haben, keine Arbeit und keine Perspektive. Trotzdem bleibt es ihr Zuhause, bleibt es mein Zuhause. Griechenland ist wie eine Mutter für mich, und wenn es dem Land schlecht geht, dann geht mich das natürlich etwas an, dann empfinde ich den Schmerz, genauso wie die Menschen, die dort geblieben sind. Und ich habe den Film in erster Linie mit diesem Gefühl im Bauch gemacht.
Ein Film, für den Sie Anfang der achtziger Jahre viel Kritik einstecken mussten, war „Hanna K“. Worum ging es Ihnen dabei?
Ich glaube nicht, dass die Leute verstanden, was ich mit dem Film sagen wollte. Damals hieß es: „Costa-Gavras ist antisemitisch.“ Nein, so war das nicht. Zu dem Zeitpunkt waren die Palästinenser für alle nur Terroristen. Niemand dachte daran, ihnen ein eigenes Land zu geben. Aber so einfach, fand ich, darf man es sich nicht machen. Zehn Jahre später vertrat Yitzhak Rabin die Meinung, ihnen stünde ein eigenes Land zu. Doch auch er bezahlte den Versuch, Frieden mit den Palästinensern zu schließen, letztlich mit dem Leben. Der Film starb an den Kinokassen. Es gibt ihn noch irgendwo. Und auch die Idee, den Palästinensern ein eigenes Land zuzugestehen, existiert weiter. Aber so ist das mit dem Kino. Manche Filme versuchen etwas zu sagen, aber es gelingt ihnen nicht.
Ein Jahr zuvor drehten Sie „Missing“ mit Jack Lemmon. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?
Das war außerordentlich und ist mir so nicht noch einmal passiert. Ich schicke ihm das Drehbuch, und keine drei Tage später rief seine Sekretärin an und meinte, er wollte mich treffen. Normalerweise muss man als Regisseur Wochen, manchmal Monate oder sogar Jahre auf eine Antwort warten. Ich bin daraufhin sofort zu ihm nach Los Angeles gefahren, um ihm bei einem Drink die Handlung ganz genau zu erklären. Aber er winkte sofort ab und meinte nur: „Du machst deine Arbeit, ich mache meine.“ Daraus wurde am Ende eine sehr besondere Freundschaft. Nicht zuletzt auch, weil die Produktionsfirma zunächst nicht mit Lemmon einverstanden war. Für sie war er ein Komödienschauspieler. Danach waren aber natürlich alle mehr als zufrieden.
Werden Sie manchmal ein bisschen nostalgisch, wenn Sie an Ihre früheren Filme zurückdenken?
Überhaupt nicht. Ich schaue sie mir auch nicht an. Mir ist die Erinnerung daran lieber. Das Gefühl, dass ich damals hatte, als ich den Film drehte. Es ist okay, wenn die Leute mit mir darüber reden wollen. Aber egal, ob ich den Film persönlich für geglückt halte oder nicht, sage ich jetzt nicht, ob und was ich anders gemacht hätte, denn das spielt keine Rolle mehr. Der Film ist fertig in dem Moment, in dem man die Arbeit daran abschließt.
Denken Sie, dass man mit manchen Filmen vielleicht doch ein Stück weit die Welt verändern kann?
Ich weiß nicht, ob ein Film das kann oder ein paar Filme es können. Aber alle Filme zusammengenommen haben seit dem Beginn des Kinos die Welt verändert, in dem sie in der Lage waren, ein Publikum zu erreichen. Das Kino ist ein einzigartiger Kommunikationsapparat. Denken Sie nur: Zur ersten Vorführung der Brüder Lumière kamen ein paar Dutzend Besucher, zur nächsten schon dreihundert. Heute gehen weltweit Millionen Zuschauer ins Kino. Solange der Film frei bleibt und die Menschen, die Filme drehen wollen, die Möglichkeit dazu haben, ist es wichtig, dass wir weitermachen – lebenswichtig sogar.