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Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig?
"Für mich persönlich ist er der beste Regisseur"
Armin Mueller-Stahl über Costa-Gavras (März 1992)
Für die einen ist er einer der wichtigsten Regisseure der letzten vierzig Jahre, für die anderen dreht er nur moralisierend-plakative Filme, die eindeutig für eine Idee oder Gruppierung Partei ergreifen. Tatsache ist, dass der am 13. Februar 1933 in Loutra-Iraias (Arkadien) geborene und seit 1954 in Frankreich lebende Constantin Costa-Gavras wie kein anderer Cineast dem zugleich anspruchsvollen und massenwirksamen Poltthriller seinen unverwechselbaren Stempel aufgedrückt hat.
Wenn man von John Frankenheimers wegen des Kennedy-Attentats lange Zeit aus dem Verkehr gezogenen "Botschafter der Angst" (1962), Stanley Kubricks Weltuntergangskomödie "Dr. Seltsam oder wie ich lernte die Bombe zu lieben" (1963) und Henri Verneuils "I wie Ikarus" (1979) einmal absieht, schuf der Sohn eines griechischen Widerstandskämpfers 1968 mit "Z" das absolute Meisterwerk des Genres.
Die algerisch-französische Koproduktion spielt zwar in einem imaginären Staat, doch bereits der Vorspann verkündet: "Übereinstimmung mit Personen und wahren Ereignissen ist nicht zufällig, sondern gewollt." Obwohl von Griechenland, der "Wiege der Demokratie", niemals die Rede ist, nimmt sich Costa-Gavras hier mit einer unnachahmlichen Mischung aus satirischer Leichtigkeit und heiligem Ernst der von höchster staatlicher Instanz angeordneten Ermordung des sozialistischen Oppositionsführers Grigorius Lambrakis an. Der ehemalige Olympionike und Medizinprofessor wurde am 22. Mai 1963 in Saloniki im Verlauf einer pazifistischen Demonstration gegen die Obristendiktatur von einem Dreirad tödlich verletzt. Von offizieller Seite sprach man nur von einem "Verkehrsunfall". Den wirklichen Sachverhalt, wie ihn zuvor der Schriftsteller Vassilis Vassilikos in seinem Roman "Z" geschildert hatte (Lambrakis wurde von einem Polizistenclan ermordet), rekonstruiert der Regisseur virtuos mit den Mitteln des Kinos.
Zuerst beleuchtet er die Tat: "Z", der von Yves Montand verkörperte Vorsitzende der "Friedensfreunde", wird durch Stockhiebe vom fahrenden Lieferwagen aus niedergeknüppelt, fällt tagelang ins Koma und stirbt später im Krankenhaus. Zeugen des Verbrechens stürzen aus dem Fenster oder sterben unvermittelt an einer Embolie. Die Vernehmung der Drahtzieher in Polizeiuniform artet zur Farce aus. Dass schließlich - dank der Unbestechlichkeit eines besessenen Untersuchungsrichters (Jean-Louis Trintignant) - das Recht siegt, bringt jedoch den Film nicht zum Happy-End, denn bald nach Abschluss der Lambrakis-Affaire, so informiert ein Schlusskommentar, kommen die Hintermänner des Verbrechens an die Regierungsmacht.
Die Bestraften befinden sich also schnell wieder in Amt und Würden (wie 1967 auch tatsächlich geschehen). Am Ende wird der Bevölkerung von den Militärs nicht nur das Lesen von Schriftstellern wie Sartre oder das Tragen langer Haare verboten, sondern auch die Benutzung des Buchstaben "Z", der im klassischen Griechisch als Kürzel für "Er lebt" steht. Und lebendig, als Symbol freiheitlichen Willens ist der ermordete Abgeordnete für alle, die den Kampf nicht aufgegeben haben. In dieser utopisch-idealistischen Verklärung liegt durchaus eine reale Kraft.
Ähnlich wie Orson Welles als Harry Lime in "Der Dritte Mann" dominiert Yves Montand "Z" auch im Unsichtbaren - er ist nämlich nur in der ersten halben Stunde zu sehen, doch seine persönliche Integrität verleiht auch dem von ihm verkörperten pazifistischen Doktor der Medizin Glaubwürdigkeit. Ihm steht ein nicht minder großartiges, von Costa-Gavras behutsam geführtes Schauspieler-Ensemble zur Seite. Während Irena Papas die Trauer der Gattin des Ermordeten mit beklemmender Intensität greifbar macht, deutet der jugendliche Co-Produzent Jacques Perrin ("Nomaden der Lüfte") in der Rolle des rasenden Reporters seine Angst durch nervöse Fahrigkeit an. Jean-Louis Trintignant wiederum ist als konservativer, aber gerechtigkeitsliebender Staatsanwalt von einer Überzeugungskraft, die er zuvor und auch danach nie wieder erreichen konnte.
Neben den darstellerischen kann man die formalen Qualitäten dieser Tragikomödie nicht genug preisen, allen voran Raoul Coutards einfallsreiche Kameraführung und Mikis Theodarakis' mitreißender Soundtrack, der geschickt lyrisch erhabene griechische Folklore mit arabischen Beat-Elementen verbindet. "Die Entstehungsgeschichte der Musik ist genauso abenteuerlich wie der Inhalt des Films." erinnert sich Costa-Gavras gut 35 Jahre später. "Mikis befand sich damals in Verbannung auf den Peloponnesischen Insel, wo er von zwölf Gendarmen bewacht wurde. Dennoch gelang es uns, ein Tonband herauszuschmuggeln, das er mit den Stücken besungen hatte. Sie waren Grundlage für die Arrangements, die mit ihm befreundete Musiker in Frankreich übernahmen."
Der internationale Publikumserfolg "Z", der in der mediterranen Szenerie von Algier gedreht wurde, weil sich zuerst keine französischen Geldgeber fanden, ergab sich mangels Werbeetat nur durch Mundpropaganda. Der allein in Paris 36 Wochen lang in zumeist ausverkauften Vorstellungen gezeigte Film geriet im Zuge der Studentenunruhen zum gesellschaftspolitischen Großereignis. Neben dem Gewinn des Oscars als bester ausländischer Film wurde er 1969 zusätzlich in der ansonsten nur englischsprachigen Produktionen vorbehaltenen Kategorie "Bester Film" nominiert - ein bis heute einmaliger Vorgang in der Oscar-Historie. Unter den damaligen Regimes von Griechenland, Spanien, Portugal und Südamerika war "Z" hingegen lange Zeit verboten.
Das Kritikerlob war fast einhellig positiv, lediglich das französische Cineastenblatt "Cahiers du Cinéma" startete seinerzeit eine regelrechte Hetzkampagne gegen "Z" und warf dem Film Schwarzweißmalerei vor. Frei nach dem Vorurteil manch dogmatischer Kritiker der späten Sechziger hieß es, ein wirklich progressiver Film sollte im Untergrund produziert werden, er muss Repressionen, Schnittauflagen und mangelndes Zuschauerinteresse erleiden, sonst kann er nicht gut sein.
Costa-Gavras lässt den Vorwurf eines zeitgenössischen Rezensenten, der Film würde den Gesetzmäßigkeiten der traditionellen bürgerlichen Ästhetik gehorchen, nur partiell gelten: "Richtig ist, das ich mit den Mitteln des Kriminalfilms eine politische Aussage machen wollte. 'Z' zeigt ein Unter-Proletariat, das von der Polizei abhängig ist, und Polizei, die von der regierenden Schicht abhängig ist, die wiederum vom ausländischen Kapital abhängig ist. Der Film veranschaulicht, wie diese Elemente zu brutalem Mord an einem Menschen führen können, der nur den Frieden unter seinen Brüdern wollte. Das Ende ist bewusst sarkastisch, da die Aufklärung des Falles einem Pyrrhus-Sieg gleichkommt: Im Endeffekt haben die ganzen Ermittlungen dafür gesorgt, dass sich die politische Situation verschlimmert. Gegen diesen Sarkasmus mag nur noch die Hoffnung bestehen. Wenn das bürgerlich ist, habe ich nichts dagegen."
Fast alle Filme von Costa-Gavras sind voller Impetus und aufstörendem Pathos. Mit dem cineastischen Bazillus wurde er schon früh infiziert: "Gleich nach dem Zweiten Weltkrieg pflegten wir in die Bäume zu klettern, um kostenlos die Freiluftkinos zu genießen", blickt der ehemalige Baletttänzer, der sich auch im zunehmenden Alter seine athletische Erscheinung bewahrt hat, schmunzelnd zurück. Sein Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaften setzte er Mitte der fünfziger Jahre an der Sorbonne fort, um dann am Institut des Hautes Etudes Cinématographique das Diplom für Regie und Filmproduktion zu erwerben. Seinen Vornamen Constantin kürzte er nach seiner Einbürgerung 1956 ab: "Der Bindestrich im Namen wurde hinzugefügt, um Verwirrung zu stiften".
Nach Assistenzen bei Regisseuren wie René Clair und dem aus Armenien stammenden Henri Verneuil begeisterte er sich schnell für die jungen Strömungen des französischen Films. Sein Debüt als Regisseur und Drehbuchautor gab er 1965 mit dem rasanten, psychologisch fundierten Krimi "Mord im Fahrpreis inbegriffen", indem unter anderen Yves Montand, Simone Signoret, Michel Piccoli, Jean-Louis Trintignant und Charles Denner fast unentgeltlich mitmachten. Costa-Gavras selbst sah den Schwarzweiß-Film, der nicht nur in Frankreich, sondern auch in den USA große Beachtung fand, lediglich als "Stilübung". Die mit verwackelter Handkamera gedrehte Nouvelle-Vague- und Hitchcock-Hommage war der Beginn einer langjährigen, freundschaftlichen Zusammenarbeit mit Yves Montand.
Nach "Z" entstand 1969, als Reflexion auf den "Prager Frühling", "Das Geständnis", eine beklemmende Abrechnung mit dem Stalinismus und den berüchtigten Schauprozessen in der ehemaligen CSSR. Montand brilliert erneut als Opfer staatlicher Repression - diesmal in der Figur des zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verurteilten tschechischen Vizeaußenministers. Es folgte - wieder mit Montand - der Terrorismus-Thriller "Der unsichtbare Aufstand" (1973), der vor dem Hintergrund umstrittener CIA-Verwicklungen mit der damaligen Junta in Uruguay spielt. Individualität contra Staatsräson, die Humanität des Einzelnen gegen den Machtanspruch eines diktatorischen politischen Apparats. Costa-Gavras macht keinen Hehl daraus, auf welcher Seite er steht. Dieser rote Faden zieht sich auch durch seine Hollywood-Arbeiten.
Am eindrucksvollsten zeigt sich das in "Vermisst" (1982). Jack Lemmon ist hier in einer seiner stärksten Rollen jenseits des Klamauks zu sehen. Als verzweifelt-couragierter US-Staatbürger ist er auf der Suche nach seinem Sohn, der während des Militätputsches in Chile verschleppt wurde. Costa-Gavras trauriges Fazit: Auch der kleine Mann kann über sich hinaus wachsen, ohne allerdings dafür belohnt zu werden. Ein krasser Unterschied zu den vor Pathos triefenden Action-Polithrillern der Traumfabrik Hollywood. Zu Recht erhielt Costa-Gavras 1983 den Oscar für das "Beste Drehbuch".
Obwohl sich der unermüdliche Kämpfer für ein politisch aufgeklärtes Kino selbst als "Überzeugungstäter" sieht, verweigert er sich in seinen Filmen der simplen Einordnung in Kategorien. So ließ er in "Music Box" Armin Mueller-Stahl als einen durchaus sympathischen Großvater erscheinen, der sich nach Jahrzehnten für grausame NS-Kriegsverbrechen verantworten muss. "Ich sehe mich nicht ausschließlich als Politfilmer", sagte der dreifache Vater, der seit 1968 in zweiter Ehe mit der Journalistin Michelèle Ray verheiratet ist: "Meiner Ansicht nach sind alle Filme oder Medien, die sich an Publikum wenden, politisch, weil eine Art von Zwiesprache entsteht."
In "Mad City" (1998) machte der langjährige Präsident der Cinemathèque Francaise (1982 bis 1987) selbst diese Zwiesprache zum Thema: Dustin Hoffman spielt einen sensationslüsternen TV-Reporter, der eine Geiselnahme in einem Museum quotengerecht vermarkten will, indem er einen soeben entlassenen Wachmann (John Travolta) gegen dessen bisherigen Arbeitgeber für seine Zwecke instrumentalisiert.
Nach einer Reihe von schwächeren, eher melodramatischen Filmen wie "Verraten" (1988), denen vor allem die gestalterischen Mittel und der Biss vergangener Tage fehlten, sorgte Costa-Gavras 2002 mit der Adaption von Rolf Hochhuths einstigem Skandal-Stück "Der Stellvertreter" (1963) wieder für Aufsehen. Die Zentralfigur des Films ist allerdings nicht der angesichts von Hitlers Verbrechen untätige Papst Pius XII., sondern der einzelgängerische "Spion Gottes" in SS-Uniform, Kurt Gerstein (Ulrich Tukur). Bei den Internationalen Filmfestspielen von Berlin wurde Costa-Gavras die Berlinale-Kamera "für seine Verdienste um den politisch engagierten Film" verliehen.
Auch wenn dem Vater des Politthrillers, der am Set für seine ruhige, besonnene Art bei Darstellern und Stabmitgliedern äußerst beliebt ist, unzählige weitere brisante Themen durch den Kopf gehen (so hat er die vor Jahren bereits geplante Verfilmung von Robert Merles Buch über die Erinnerungen des Ausschwitz-Kommandanten Rudolf Höß längst noch nicht ad acta gelegt), will der erklärte Opernfreund demnächst etwas "Leichtes" inszenieren: "Ich muss zum Ausgleich auch ab und an komödiantische Stoffe entwickeln, denn wenn ich nur ernsthafte Filme über Korruption und Unterdrückung gedreht hätte, wäre ich bestimmt schon manisch-depressiv geworden."